Montag, 7. Oktober 2019

Wichtige Aspekte mitochondrialer Sehnervenerkrankungen - stammt die mitochondriale DNA (mt-DNA) auch vom Vater?

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Nervenzellen - Bildquelle - pixabay
Liebe Freunde der Freiheit und des Friedens,
liebe Freunde der Liebe und des Glücks,
liebe Mitleser,
Wissenschaft ist ein steter Prozess der einem ständigen Wandel und Fluss unterliegt und in der Lage ist dem Wohl der Menschheit zu dienen. Krankheiten die noch vor einigen Jahren als unbehandeltbar galten - sprich das Etikett "untreatable" verliehen bekamen, schicken sich an eines Tages behandelbar zu werden.
Eine der übelsten und einschneidesten Erkrankungen des menschlichen Sehorgans ist die zum Glück recht seltene sogenannte Leber´sche heriditäre Optikus-Neuropathie - oder kurz LHNO, da sie wie die DOA (autosomal dominante Optikusatrophie), die zweite die Mitochondrien betreffende Erkrankung der Netzhaut- und Sehnervenzellen, schon in der Jugend des Menschen zur Erblindung führen können.
Der Anlass diesen Beitrag zu schreiben war die hervorragende Übersicht von @chapperton über sein Steckenpferd - die mitochondriale Biochemie und deren Stellung im Gefüge der Zellbiologie.
Ich erinnere mich noch an Zeiten, wo zwar bekannt war, dass die LHON eine mitochondriale Erkrankung ist, die vorwiegend Männer und erst in zweiter Linie Frauen betrifft und bei Trägern der Erbanlagen ungefähr 50 Prozent der männlichen Nachkommen und rund 10 Prozent der weiblichen Nachkommen im Laufe ihres Lebens von der LHON klinisch manifest betroffen sind. Der Ratlosigkeit hinsichtlich der Therapie zu Beginn der Jahrtausendwende sind dank der zunehmenden Erkenntnisse der Molekulargenetik und der Biochemie in den letzten beiden Jahrzehnten erstmals seit 2015 eine Verbesserung des Krankheitsverlaufs bei Frühdiagnose der LHON gelungen, die durchaus klinisch für Augenärzte und Betroffene relevant und von zentraler Bedeutung für die Lebensqualität und die Prognose der Erkrankung im Einzelfall von Bedeutung sind.
Die bioenergetische Kapazität der mitochondrialen Funktion ist bei Erkrankten wie auch Trägern der Erbanlagen bei der LHON und der DOA deutlich herabgesetzt. Hierin liegt vermutlich auch der Grund, warum auf Grund des geringeren Zellvolumens der im papillomakulären Bündel - der Verbindung zwischen Sehnervenkopf und der Stelle des schärfsten Sehens - gelegenen Nervenzellen (retinalen Ganglienzellen) der inneren Netzhaut die Erkrankungen sich zuerst manifestiert, was mathematisch damit zu erklären ist, dass große Zellvolumina die Option auf eine größere Reserverkapizität zur Aufrechterhaltung des Energiestoffwechsels der Nervenzellen in sich tragen.
Nach einer Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) in Deutschland zur seit 2015 verfügbaren Therapie mit dem Medikament Raxone zur Therapie der LHON liegt die Häufigkeit der seltenen Erkrankungen zwischen 2.4 und 4.2 Fällen je 100 000 Einwohnern. Demnach ist in Deutschland mit ca 1500 bis 3000 betroffenen Menschen zu rechnen. Vermutlich liegt die Zahl der Erkrankten jedoch weitaus höher, da davon auszugehen ist, das eine unbekannte Zahl an Patienten fälschlicherweise als Retrobulbärneuritis - bzw. als Sehnervenentzündung - fehl diagnostiziert werden. Denn der voreilige schnelle Schluss aus der Regel - Patient sieht nichts und der Arzt sieht nichts -> Neuritis nervi optici - kann dazu führen, dass die Diagnose einer LHNO, die früher noch als Lebersche Optikus Neuritis fälschlicherweise bezeichnet wurde, zu spät gestellt wird und somit zumindest dem natürlichen Verlauf mit neueren Methoden entgegengeseuert werden kann, was hinsichtlich der Zukunftsprognose der Betroffenen durchaus eines Tages von Relevanz sein könnte.

Ist der Verlust des Gesichtsfeldes bei der LHNO Folge eines Mangels väterlicher mt-DNA?

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Schematische Darstellung eines zentralen Gesichtsfeldverlustes/Zentralskotoms - bearbeitet von

@indextrader24 unter Verwendung eines Bildes von pixabay.
Denn ebenso wie bei einer Sehnervenentzündung (Neuritis nervi optici/Retrobulbärneuritis) oder einer Neuromyelitis optica, die in der kaukasischen Bevölkerung rund 50-100 mal seltener als die klassische Sehnervenentzündung (RBN/NNO) vorkommt, kommt es bei der LHNO zu Beginn der Erkrankungen, nicht nur zu Farbsinnstörungen, sondern auch zu einem Verlust des zentralen Gesichtsfeldes - welches auch als Zentralskotom bezeichnet wird und sich in der Regel nicht - wie so oft bei der klassischen Sehnervenentzündung - unter Therapie zurückbildet.
Die Differenzierung von anderen Krankheitsbildern welche mit einer Sehnervenbeteiligung verlaufen erfolgt mittels Gentest.
Im Gegensatz zur klassischen Sehnervenentzündung (RBN) sind die Gesichtsfelddefekte bei der LHNO meist fortschreitend und die Prognose hinsichtlich der verbleibenden Lebensqualität hängt inzwischen nicht unwesentlich von der frühzeitigen Diagnose und Abgrenzung der Klinik von einer Sehnervenentzündung anderer Genese ab, sowie von der Lebensführung des Patienten und seinen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten.
Ein einseitiger Verlauf der Erkrankung zu Beginn ist recht selten, denn typsicherweise beginnt die LHNO mit einer beidseitigen Manifestation des zentralen Sehverlustes und verläuft dabei normalerweise komplett schmerzlos. In der Spätphase kommt es zum Untergang der 1.2 Millionen Sehnervenfasern des Sehnerven und damit zum Endstadium in Form eines kompletten Sehnervenschwundes (Optikusatrophie), welche bei der Untersuchung der Netzhaut klassischerweise als wachsgelbe Papille imponiert.
In über 90 Prozent der Fälle sind bei der LHNO drei Gene der mitochondrialen DNA (mtDNA) betroffen, welche zu einer Fehlfunktion des mitochondiralen Komlpex I führen sollen. Diese Gene sind
m.3460G>A (MTND1), m.11778G>A (MTND4) und m.14484T>C (MTND6)
und somit ausschliesslich auf der mitochondrialen DNA lokalisiert.
Im Gegensatz zur autosomal dominant vererbten mitochondrialen Sehnervenerkrankung (DOA) sind bei der LHNO somit nur die Gene der mitochondrialen DNA der Zelle betroffen, was mit Kenntnis der Genmutationen für die Zukunft die Chance auf die Etablierung einer Gentherapie eröffnen sollte.
Schon aus diesem Grund und mit Blick auf die Möglichkeit eines Tages vielleicht gentherapeutisch diese einschneidenden Erkrankungsbilder kausal behandeln zu können ist es erstrebenswert alles zu unternehmen, was den natürlichen Krankheitsverlauf zumindest verzögert oder besser noch in Zukunft aufhält.
Die DAO weist eine Mutation im nukleären Genom der Zelle auf, welche für den Energiehaushalt in den Mitochondrien relevant ist. Es handelt sich dabei um das OPA1-Gen. Dabei ist anzumerken, dass die für die Stoffwechselfunktion der Mitochondrien relevanten Gene nur zu einem Bruchteil in den Mitochondrien sich befinden. Über 90 Prozent der Gene für den Energiestoffwechsel der Mitochondrien befinden sich im Genom des Nukleus der Zelle.

Stammt die mitochondriale DNA wirklich von der Mutter?

Neuere Arbeiten hegen erstmals Zweifels an dem Dogma, dass mt-DNA stets nur von der Mutter stammen würde. So fanden Forscher im letzten Jahr heraus, dass die mt-DNA der Mitochondrien möglicherweise auch vom Vater eines Kindes bereitgestellt wird. Ein Prozess der als Heteroplasmie bezeichnet wird.
Ein Phänomen das bislang nur von Hefezellen bekannt war und unter anderem auch bei Drosophila, Mäusen und Schafen beobachtet werden konnte. Inwieweit solcher Art Prozesse im Falle der LHNO möglicherweise eine Rolle bei der unterschiedlichen Geschlechterspezifischen Penetranz der Erkrankung eine Rolle spielen, wird noch zu erforschen sein - lässt aber den gesamten Bereich der klinischen Manifestationen mitochondrialer Erkrankungsbilder auf jeden Fall schon jetzt in einem komplett neuen Licht erscheinen.
Möglicherweise ist das seltenere Auftreten der LHNO bei weiblichen Nachkommen somit nicht Folge eines bislang unterstellten Östrogeneinflusses, sondern vielmehr die Konsequenz eines gestörten komplexen Übertragungsmechanismus von väterlicher mt-DNA auf die mütterliche Eizelle zum Zeitpunkt der Befruchtung der mütterlichen Eizelle, welche im Wechselspiel mit x-chromosomal codierenden Genen des Spermiums einen höheren Eintrag/Übertrag gesunderväterlicher mt-DNA im Rahmen des Befruchtungsprozesses der Eizelle ermöglichen oder umgekehrt im Falle eines männlichen Genoms beim Embryo wegen Abwesenheit des väterlichen X-Chromosoms bei nur partiell funktionalem X-Chromosom der Mutter auch verhindern, so zumindest meine neue Hypothese zur unterschiedlichen klinischen Penetranz.
Dies würde dann auch erklären, warum weibliche Nachkommen wahrscheinlich auf Grund der Funktion des intakten väterlichen X-Chromosoms, seltener beispielsweise an einer LHNO erkranken....
Ist das X-Chromosom des Spermiums bei weiblichen Nachkommen von Relevanz für die Übertragung mitochondrialer DNA (mt-DNA) des Vaters?
Die Klärung dieser meines Erachtens äußerst wichtigen Frage ist von weitreichender Bedeutung und würde die gesamte Forschung im Bereich mitochondrialer Erkrankungen revolutionieren und die Bedeutung maternaler Faktoren bei der Vererbung und Weitergabe mitochondrial lokalisierter Genome - sprich der mt-DNA - komplett in eine andere Richtung lenken.
Ich gehe davon aus - ohne es freilich - mangels Forschungsauftrag - beweisen zu können - dass das Dogma der rein maternalen Weitergabe mitochondrialer DNA keine Gültigkeit besitzt und x-chromosomal lokalisierte Prozesse bei der Befruchtung der Eizelle durch ein Spermium eine wesentliche Rolle bei der vollständigen Synthese der kindlichen mt-DNA aus mütterlicher und väterlicher DNA spielen.
Demnach, so meine Hypothese, ist eine Dysfunktion maternaler Gene auf dem X-Chromosom der Mutter bei der Neubildung kindlicher mt-DNA nur zu kompensieren - oder zumindest in Teilen zu kompensieren, wenn ein gesundes nicht dysfunktionales X-Chromosom des Vaters die entsprechenden Genprodukte zum Übertrag väterlicher mt-DNA bereitstellt und somit zumindest einem teilweisen Verlust wertvoller mt-DNA des Vaters während des kurzen und sicherlich vulnerablen komplexen Befruchtungsprozesses entgegenwirkt.
Eigentlich wollte ich nicht auf diesen Aspekt in diesem Beitrag eingehen, freilich aber führte die heutige Recherche bei mir zu der Frage der Ursache der unterschiedlichen Penetranz - sprich der klinischen Manifestation der Leber`schen Optikusatrophie (LHNO) dazu, als neues Erklärungsmodell für das unterschiedliche klinische Erscheinungsbild bei weiblichen und männlichen Nachkommen auch Störungen bei der Bildung der embryonalen mt-DNA unmittelbar im Zusammenhang mit der Befruchtung der Eizelle anzunehmen und dabei unweigerlich als kausale Ursache für die fehlende Kompensation von Gendefekten bei männlichen Nachkommen genetische Dysfunktionen beim mütterlichen X-Chromosom zu zuschreiben - ohne dabei gleich auf Lebensgewohnheiten oder Umweltfaktoren abzustellen, die nicht hinreichend die recht hohe Penetranz der LHNO von 50 Prozent bei männlichen - versus 10 Prozent bei weiblichen Nachkommen erklärt.
Erklärbar wäre die unterschiedliche Penetranz der LHNO bei Männern und Frauen, ebenso wie das Auftreten von LHNO-Plus Erkrankungen, sprich der Leber´schen Optikusatrophie unter zusätzlicher Beteiligung des Zentralnervensystems somit nicht Folge hormoneller Faktoren, sondern dyfunktionaler Genprozesse auf dem X-Chromosom zum Zeitpunkt der Menschwerdung, just in dem Augenblick wo Spermium und Eizelle miteinandter verschmelzen und die väterliche mt-DNA normalerweie auf den Embyro ebenfalls übertragen wird.
Nur wenn das X-Chromosom des Vaters übertragen wird wäre es denkbar, dass die erfolgreiche Übertragung väterliche mt-DNA später auch das Wohl der Nachkommenschaft zum positiven beeinflusst, falls Genddefekte im X-Chromosom der Mutter dem entgegenstehen sollten oder die Übertragung väterlicher mt-DNA behindern oder gar unterbinden sollten.
Denkt man den Gedanken weiter, würde das X-Chromosom des Vaters, dass für die weiblichen Nachkommen beigesteuert wird, eine verbesserte Übertragung der väterlichen mt-DNA auf die Eizelle ermöglichen und damit die auf Grund möglicher atypischer Genpolymorphismen und damit verbundenen Gendysfunktionen auf dem mütterlichen X-Chromosom lokalisierte herabgesetzte Übertragung gesunder mt-DNA vom Spermium auf die Eizelle zumindest in Teilen kompensieren, was wegen des fehlenden X-Chromosoms bei männlichen Nachkommen in weitaus selteneren Fällen wegen bislang heute noch nicht erforschten dysfunktionalen Störungen im Regelkreis der Übertragung väterlicher mt-DNA in weitaus seltneren Fällen gelingen würde.
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